Lemur - Ein Rapper aus Wolfsburg startet durch

von Bernd Dukiewitz


Lemur´s Album ist seit Freitag im Handel. Foto: Sara Reuter
Lemur´s Album ist seit Freitag im Handel. Foto: Sara Reuter

Wolfsburg. Der Name Lemur mag vielen Musikfans noch kein Begriff sein, doch der Wolfsburger Rapper möchte das ändern. Seit Freitag ist sein neues Album "Die Rache der Tiere" erhältlich, darauf befindet sich ein Track über Wolfsburg. Mit regionalHeute.de sprach er über das Album.


regionalHeute.de: Hallo Benny, danke dass du dir Zeit für uns genommen hast. Dein neues Album "Die Rache der Tiere" kam ja am Freitag heraus. Mit welchen Erwartungen gehst du an den Release?

Lemur: Das Optimum wären für mich neue Hörer, eine relativ gut besuchte Tour und dass es den Leuten gefällt natürlich. In erster Linie mache ich die Musik ja schon für mich selbst, aber es ist schön, wenn es den Leuten gefällt und so ganz kann man sich letztlich nie davon frei machen, was die anderen denn davon halten. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, weil das Album schon anders ist als das letzte.
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rH: Wie zufrieden bist du mit dem Album, gerade vor dem Hintergrund, dass du es hauptsächlich für dich selbst machst?

Lemur: Ich bin dieses Mal tatsächlich sehr zufrieden. Ich hatte es sonst oft, dass ich mir ein fertiges Projekt ewig nicht anhören konnte, weil ich es dann ja schon so oft gehört habe, dass es mir auf die Nerven ging und ich immer etwas gefunden habe, dass ich definitiv anders gemacht hätte. Das ist bei diesem nicht so. Da freue ich mich, wenn ich einen Song daraus anmache. Ich bin sehr zufrieden.
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Foto: Sara Reuter



rH: Du produzierst und schreibst deine Songs ja selber. Wie müssen wir uns den Schaffensprozess eines Songs von der Idee bis zur Umsetzung vorstellen?

Lemur: Gerade in letzter Zeit nutze ich einen Pool aus Beat-Skiten, also grob umrissenen Ideen, die ich dann ausspiele und in einen Ordner packe und dort schlummern sie bis zum richtigen Moment. Und dann ist es meistens so, dass wenn ich schlafen müsste und ich total abgekämpft bin und ich am nächsten Morgen raus muss und nicht schlafen kann, dann so ein Unwohlsein in mir ist, bei dem ich erst überhaupt nicht weiß, was es ist, das mich dann dazu treibt, dann doch wieder das Licht anzumachen und durch die Wohnung zu stromern wie ein Irrer und zu merken "Da schlummert doch etwas in mir". Und dann mache ich diesen Ordner auf mit den Skizzen die ich habe und suche mir eine aus, die zur Stimmung passt und dann fange ich an zu schreiben. Oder es ist halt so, dass ich unterwegs bin und schnappe irgendwo einen Gesprächsfetzen auf, der mich irgendwie inspiriert, merke mir den, renne schleunigst nach Hause und mache diesen Ordner auf und suche nach der passenden musikalischen Untermalung. Auch dann schreibe ich einen Text und singe ihn provisorisch über diese Skizze ein, damit ich mir vorstellen kann, wie das klingt und mache dann erst die Musik fertig und nehme dann den Text darüber auf und mische das Ganze.
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rH: Du hast ja gesagt, dass schon Gesprächsfetzen dich inspirieren können. Gibt es Themen, die für dich besonders ergiebig sind und Themen, auf die du gar keine Lust hast?

Lemur: Da gibt es tatsächlich überhaupt keine Beschränkungen. Ich schreibe über alles. Ich schreibe selten darüber, was für ein cooler Rapper ich bin, denn das hat mich damals schon immer bei dieser Mucke gestört. Lauter Rapper, die darüber rappen, wie toll sie rappen, ohne dabei toll zu rappen. Wenn ich sowas mache, dann muss da für mich wenigstens irgendein besonderer Twist drin sein. Ansonsten kann Inspiration ja überall herkommen und alles kann Thema werden. Auch die letzte Glasflasche hat ein Lied verdient.
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rH: Im Rap ist ja nicht alles für bare Münze zu nehmen, was gerappt wird. Wieviel Wahrheit steckt in deinen Texten?

Lemur: Je nachdem. Wenn ich etwas über mich schreibe, dann ist das größtenteils sehr ehrlich. Wenn ich aber eine irre Geschichte schreibe, wie zum Beispiel "Die Rache der Tiere", wo ich von der gesamten Tierwelt verfolgt und verprügelt werde und mich in einen Lemuren verwandele, kann man sich vielleicht denken, dass das nicht eins zu eins so erlebt wurde. Ansonsten bin ich aber relativ ehrlich, wenn ich über persönliche Erlebnisse schreibe. Das merkt man dann schon und ich bin da relativ "ungeschönt". Ich möchte keine Barriere zwischen dem, was ich denke und dem was ich schreibe, weil mich das letztlich in der Kreativität behindern würde. Ich höre zwar immer, dass ich mich damit ein Stück angreifbar mache, aber da denke ich mir "Wer soll mich da schon angreifen, und wieso?". Also mache ich schon oft einen "Seelenstriptease", aber das läuft dann wohl unter dem abgedroschenen Begriff „Selbsttherapie“.
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Foto: Sara Reuter



rH: Kommen wir auf deinen jungen Jahre und damit auf deine Zeit in Wolfsburg zu sprechen. Erzähl uns doch mal von deiner Zeit hier.

Lemur: Geboren bin ich in der Nordstadt und habe dort bis zu meinem achten Lebensjahr gewohnt. Danach bin ich dann für ein paar Jährchen nach Velstove gezogen, dann nach Kästorf. Dann bin ich ziemlich früh bei meiner Mutter ausgezogen und hab danach im Burgwallcenter gewohnt und im sehr schönen Hochring 39, also den beiden schönsten Häusern, die Wolfsburg zu bieten hat (lacht). Ich bin dann in Wolfsburg relativ früh mit Hip-Hop in Berührung gekommen, in Kaschper damals, was jetzt zum Hallenbad-Komplex gehört und habe mit zwölf dann angefangen, Breakdance zu machen. Damals war die ganze Hip-Hip-Sache noch anders und es gab eine richtige Szene und es haben alle zusammengehangen, auch die Sprüher und die ersten Deutschrapper. Ich habe dann auch ziemlich schnell angefangen neben dem Breakdance auch zu rappen, weil mich das ziemlich fasziniert hat. Wolfsblut waren die ersten, die das damals in Wolfsburg gemacht haben und ich fand es cool, was die gemacht haben und dann habe ich damit auch angefangen.

Ich habe dann eine ziemlich steile Minuslaufbahn hingelegt, was Schule und Ausbildung angeht und bin dann sehr früh mit Drogen et ceterea in Verbindung gekommen und bin sehr kriminell geworden und bin daher dann auch aus Selbstschutz aus Wolfsburg geflüchtet und auch, weil es mir zu eng wurde. Ich bin dann vor 15 Jahren nach Berlin gekommen und lebe seitdem glücklich hier.
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rH: Auf deinem neuen Album findet sich ja der Song "Wolfsburg". Wie hast du das Thema für dich aufbereitet und wie stehst du heute zu Wolfsburg?

Lemur: ich habe einfach ein Jahr aus meiner Jugend genommen. Ich habe letztens über Umwege erfahren, dass ein guter Freund aus dieser Zeit verstorben ist und das hat mich gedanklich wieder in diese Zeit zurückgeholt. Die ganzen Erfahrungen - Drogen, Graffiti, Scheiße bauen - und das erste mal ganz, ganz krass von Musik geflasht sein, das habe ich in einer Art "Ode an die Jugend in Wolfsburg" verarbeitet oder an die Unausweichlichkeit, bei VW zu landen oder abzuhauen (lacht).
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Foto: Hajo Rehm



rH: Bist du heute noch oft in Wolfsburg?

Lemur: Relativ selten leider. Wenn ich mal meine Familie besuche, sprich meine Mutter und Großmutter oder wenn ich mal im Hallenbad ein Konzert spiele.
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rH: Du hast ja schon "Wolfsblut" als Inspiration erwähnt. Wer hat dich damals noch geflasht?

Lemur: Größtenteils war das dann kein Deutschrap, sonder Ami-Rap wie Wu-Tang oder Mobb Deep. Dann gab es aber auch von Doppelkopf ein Lied, was sich total eingeprägt hat, was ich damals auf jeden Fall sehr, sehr gefeiert habe. Da habe ich dann auch mal zwei Jahre versucht, wie der Typ zu rappen. Oder Eins, Zwo, war damals der erste Typ, der richtige Doppelreime gebracht hat und sich getraut hat, wortwitzig zu sein und auch so entwaffnend ehrlich war. Das fand ich cool.
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rH: Was ist für dich das Essentiellste an deinen Songs? Reicht es, wenn sie einen coolen Beat haben?

Lemur: Das Essentiellste ist tatsächlich das Gesamtprodukt, weil coole Beats habe ich hier zu Hauf rumliegen und wenn ich da nur irgendwas drüberquatschen würde, dann könnte ich jeden Monat ein Album rausbringen. Aber das muss schon insgesamt stimmig sein. Ich sehe ja jeden Song so ein bisschen als Kurzfilm an. Ich arbeite mit Sprache und Beats sehr bildhaft um gewisse Stimmungen auszulösen und Kopfkino und wenn das eine runde Sache ist und funktioniert, dann bin ich glücklich mit dem Song. Beat und Text sind also tatsächlich gleichberechtigt.
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rH: Berlin ist ja noch die Hauptstadt des Deutschrap. Bist du viel in der Szene unterwegs oder ziehst du dich da eher etwas raus?

Lemur: Ich bin keiner Szene zugehörig. Szene ist immer so ein Begriff, der automatisch Leute ausschließt und Leute einschließt, mit denen ich nichts zu tun haben will (lacht). Ich sehe mich da nicht als Teil von irgendwas. Inzwischen ist Rap ja so breit gefächert und so unterschiedlich, dass man beinah sagen kann, Rap ist so etwas wie Gitarre geworden, wo auch völlig unterschiedliche Stile möglich sind. Ich gehe selten auf Hip-Hop-Veranstaltungen, weil mir das meistens relativ wenig gibt. Ich war auch erst auf wenig richtig coolen Rap-Konzerten, weil viele Live einfach nicht geil sind. Es gibt aber auch Ausnahmen: Megaloh habe ich Live gesehen und der hat mich tierisch weggehauen. Das ist aber eher eine Seltenheit und ich bin von Live-Rap sehr enttäuscht. Und auf Partys, wo Rap von Platte läuft, bin ich auch ziemlich selten. Wenn ich weggehe, dann gerne zu Techno.
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rH: Gibt es Überlegungen von dir mal Techno zu machen?

Lemur: Auf jeden Fall. Ich habe einen Haufen Skizzen für elektronische Musik hier rumliegen. Das auch schon, seit ich Musik produziere. Ich habe es bis jetzt nur noch nicht geschafft, davon etwas fertig zu machen, weil immer der Rap dazwischen kam. Dann ging es wieder auf Tour und geriet in Vergessenheit. Irgendwann will ich das aber mal machen und den Einfluss von der ganzen elektronischen Musik, die ich höre, hört man auch in meinen Beats heraus. Ich merke es zwar selber nicht während der Produktion, aber man hört es hinterher dann doch schon stark raus.
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rH: Kommen wir noch einmal auf dein Album zurück. Gibt es da für dich einen roten Faden oder sind es tatsächlich einzelne Kurzfilme, die du "versprachlicht" hast?

Lemur: Der rote Faden ist dieses Mal kein thematischer, sondern eher ein emotionaler. Es ist bisschen so eine trotzige Aufbruchstimmung, die sich da durch zieht und nicht mehr dieses Schwere, in sich Gekehrte, was bei mir sonst immer so ein bisschen regiert hat und es klingt nicht mehr ganz so post-apokalyptisch wie sonst. Ansonsten ist es thematisch sehr breitgefächert. Der rote Faden ist aber auch so ein bisschen, dass ich die Songs genommen habe, die sich von alleine fertig gemacht haben, mit einer Ausnahme. Ein Song war mir textlich aber so wichtig, dass ich da letztendlich erst den 30. Beat genommen habe. Das war Highlander, eine Abrechnung mit Religion, die auch ziemlich zentral in der Platte ist.
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rH: Gibt es eine Message für das Album, unter der man es zusammenfassen könnte?

Lemur: Nö. Da sperrt sich die Platte gegen. Auf ein Schlagwort kann man meine Platten nie reduzieren.
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rH: Du bist ja dann bald auf Tour. Sehen wir dich hier in Wolfsburg, vielleicht sogar im Hallenbad?

Lemur: In dieser Tour nicht. Aber ich werde ja nicht das letzte Mal auf Tour sein und ich weiß nicht, ob Wolfsburg dann dabei sein wird. Aber ich bin um die Ecke, und zwar in Hannover. Am 17. Februar im Faust. Erfahrungsgemäß sind dann auch immer sehr viele Wolfsburger da, was mich sehr freut.
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rH: Hast du noch Kontakte in die Wolfsburger Rap-Szene?

Lemur: Nee, rein musikalisch kenne ich niemanden aus Wolfsburg und arbeite da auch mit niemandem zusammen.
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